Das Dojo
 

Das Dojo ist dem Karateschüler, was das Kloster dem Mönch. Es ist der Ort, wo er den Weg des Lebens, den er für sich gewählt hat, geht. Es ist somit ein Ort wo er intensiv an seinem Geist und Körper arbeitet. Er betritt das Dojo mit einer Verbeugung. Er sollte sich sagen: " Ein ernstes Stück Arbeit steht mir bevor. Bei jeder Übung, in jedem kleinen Detail will ich meinen Mut beweisen, und an meiner Technik feilen". Im Dojo sollte er versuchen, die Grenzen seiner körperlichen und geistigen Belastbarkeit zu erleben. Erreicht er dies während dem Training nicht, sollte er das Dojo nicht zufrieden verlassen. 

Er wird Fehler machen, die ihm sein Trainer oder ein fortgeschrittener Schüler aufzeigen. Während dem ganzen Training muss er sich dieser Fehler bewusst sein und versuchen, sie zu korrigieren. Ungeachtet seines Niveaus, sollte er die Technik nie gleich ausführen, sondern immer versuchen auf einer höheren Leistungsstufe zu üben. Er sollte auch nicht angespannt sein und denken "jetzt will ich mich ganz fest anstrengen" und ein grimmiges Gesicht machen und alle Muskeln anspannen. Im Gegenteil, er sollte entspannt sein und sich auf wirkliche Verbesserungen konzentrieren. Er sollte nicht nur den Wunsch haben, sich zu verbessern, sondern er sollte sich wirklich verbessern, egal wie klein die Fortschritte auch sind. Dieser Weg zur Vervollkommnung ist wie ein langer Marsch auf ein Ziel hin. Läuft er täglich ein paar Stunden, wird er irgendwann das Ziel erreichen. Es ist klar, dass einige schneller, andere hingegen länger laufen pro Tag. Aber auch derjenige der nur 15 Minuten pro Tag läuft, wird irgendwann am Ziel ankommen. 

Ein Schüler der sich sagt: "Ich fange erst morgen an richtig zu trainieren" oder "ich warte noch ein wenig mit dem Trainingsbeginn", solch ein Schüler ist unreif und hat seltsame Ansichten über das Vorankommen. Ist ein Schüler nur vom Ziel besessen, wird er die Reise nicht geniessen. Vorwärts kommen auf seiner Reise, heisst nicht, so schnell wie möglich voranzukommen, und sich dabei  immer unzufriedener zu fühlen. Es heisst viel mehr - ungeachtet der Zeit die verstreicht - während der Reise auch Bäume und Vögel zu beobachten.  

Auf dem Weg des Karatekas sind Bäume und Vögel die steten kleinen Verbesserungen, derer ein jeder Schüler befähigt ist. Lernt, Freude und Bestätigung zu schöpfen aus jeder kleinsten Verbesserung, aus jedem kleinen Schritt nach vorn. Schüler, die schneller gehen erreichen das Ziel nun früher. Schüler die hinken oder am Wegrand sitzen und dem verträumten Murmeln eines Baches lauschen, sollten dadurch nicht entmutigt sein. 

Auf der andern Seite muss der Schüler auch Zufriedenheit dabei empfinden, wie der eigene Körper hart arbeitet, wie er seine Grenze überschreitet und ausweitet, wie er sich abmüht. Auf jeder Wanderung sollte sich der Schüler – auch aus reiner Freude – einmal pro Tag, darauf konzentrieren, sich richtig auszugeben, um voranzukommen. Jeder Schüler muss seinen eigenen Rhythmus finden. Trägheit ist im Dojo unerwünscht. Energielosigkeit muss gemieden werden. 

 

Im Dojo sollte die Atmosphäre so sein, dass die einzelnen Mitglieder der Gruppe einander helfen, Herausforderungen zu begegnen. Jedes einzelne Mitglied hat Anrecht darauf, in seinem Streben nach harter Arbeit und somit auch nach Fortschritt unterstützt zu werden. Das bedeutet aber nicht, dass bestraft oder gezankt werden darf. Für solche Handlungen gibt’s keinen Platz in einem Dojo. Ist ein Schüler bereit, sich zu ändern, so muss es auch gestattet sein, aus einem unangemessenen Verhalten die logischen Schlüsse zu ziehen. Sinn und Zweck der Gruppe ist es, geübte und beherzte Karatekas auszubilden. Diesem Ziel sollten sich alle Dojo Mitglieder unterordnen. All die, die dies nur oberflächlich tun, müssen sich ändern oder das Dojo verlassen. 

Andererseits muss die Atmosphäre im Dojo als positiv empfunden werden, auch vom schwächsten Mitglied. Jeder sollte motiviert und zum Lernen ermutigt werden. Niemand darf als Strohpuppe betrachtet werden, als ein wehrloses Ziel, das einem hilft, noch härter zuzuschlagen. In einem Dojo gibt’s keinen Platz für Brutalität oder Gehässigkeit.  

Allerdings tendiert der Anfänger dazu, Leute die er fürchtet, als "brutal" oder "gemein" einzustufen. Die Grenzlinie zwischen hartem Kampf, der einen voranbringt, und reiner Brutalität wird durch die Prellungen oder Verletzungen gezogen, die sich daraus ergeben. Gelegentliche Kratzer oder Verstauchungen kann es geben, doch das Training sollte nicht zu einer ununterbrochenen Folge von Verletzungen führen. Wollen die Schüler aber ihren Mut stärken, und realistische Techniken lernen, müssen sie auch bereit sein, kleinere Verletzungen, die ihren allgemeinen Gesundheitszustand nicht beeinträchtigen, zu akzeptieren. Nur so werden sie einsehen, dass die Belastbarkeit ihres Körpers weit über das hinausgeht, was sie in früheren, ängstlicheren Tagen angenommen haben. Ihre eindrucksvoll unter Beweis gestellten Fähigkeiten, auch mit hartem Ungemach fertig zu werden, werden sie darüber hinaus mit Selbstvertrauen und Befriedigung erfüllen.

Für Arroganz gibt’s in einem Dojo auch keinen Platz. Reife Leute sind nie arrogant, und Arroganz ist immer ein sicheres Zeichen von Schwäche. Auch der Beste ist sterblich, muss Krankheiten erdulden, kann verlieren. Ein Karateka darf nie vergessen dass er sich für das Lernen von Karate entschlossen hat, und dass andere Leute andere Ziel gewählt haben, die ebenso wertvoll sind. Die Fähigkeit gut zu kämpfen, macht noch keinen besseren Menschen, sie macht nur einen besseren Kämpfer. Es ist zwar durchaus möglich, das Dojo als Ort der charakterlichen Bildung anzusehen, aber solch eine Bildung kommt nicht von sich aus und will liebevoll gepflegt sein.   

Der Weg des Karateka ist keine Religion, der Trainer ist kein Priester. Der Ausbilder ist ein Mann, der hart arbeitet, um seinen Schülern das Wissen zu vermitteln, das er sich in einem Leben voller Entbehrungen mühsam angeeignet hat.  

Früher war der Sensei ein Asket, der auf jeglichen Luxus verzichtete, jedoch von der Armut verschont blieb durch die bereitwillig gespendeten Gaben seiner Schüler, die erkannten, dass es für den Lehrer beschämend war einen Beitrag einzufordern. Die Schüler nahmen nicht einfach, was der Lehrer ihnen gab und gingen dann ihre eigenen Wege, seine Bemühungen ihretwillen vergessend. Heute hat sich die Situation geändert, und der Lehrer ist nicht mehr auf die Gaben seiner Schüler angewiesen. Die früheren Gaben sind heute der Dojo-Beitrag, der monatlich ausgerichtet wird. Diese Beiträge kommen allen zu gut, und der Dojo kann auch seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen. Es ist eine Ehrensache für jedes Mitglied, dass es seinen finanziellen Beitrag unaufgefordert leistet. 

Der Dojo wird als Schrein angesehen. In Übereinstimmung mit den Prinzipien des Budo wird dies von den Schülern unterstützt, indem sie sich nicht von den täglichen Pflichten des Kehren und Fegens drücken. Kein Schüler betrachtet dieses Symbol der Ergebenheit als Demütigung oder als Beleidigung seiner persönlichen Würde. Eher wären sie beschämt, würde man feststellen, dass sie weniger arbeiten als ihre Kameraden.  

In Japan werden wirkliche Lehrer des Budo nach 15 bis 20 Jahren zum Sensei. Diese Zeit war mit täglichem mehreren Stunden harten Übens ausgefüllt. Darum ist ein Schüler, dem es an Bescheidenheit mangelt, sehr unrealistisch, wenn er in die Rolle eines Lehrer schlüpfen will, nur weil er ein guter Kämpfer geworden ist. Da klafft eine riesige Lücke zwischen der Fähigkeit, einen Kampf im Dojo auszutragen, und der Fähigkeit einen richtigen Kampf zu bestehen. Es klafft auch eine Lücke zwischen der Fähigkeit zu kämpfen und der Fähigkeit zu unterrichten. Die vielen Jahre der Erfahrung und des täglichen harten Trainings können nicht aus Ungeduld abgekürzt werden, um die Rolle eines Lehrers zu übernehmen. Der Weg zur Meisterschaft des Karate ist lang und hart. Der Karateka blickt auf eine viele hundert Jahre alte Geschichte zurück, und die Erfahrungen, die über diesen Zeitraum gesammelt wurden, lassen sich nicht in ein paar kurzen Jahren des Unterrichts, denen noch wildes, unangeleitetes Üben der Techniken folgen, aneignen. 

Die Grundprinzipien des geschickten Kampfes von Mann zu Mann kann man sich nicht beibringen. Die Natur hat dem Menschen dieses nicht in die Wiege gelegt. 

Seit die Japaner zum erstenmal von der Rangordnung am chinesischen Hof hörten, die durch farbige Hüte gekennzeichnet war, haben sie viel Wert auf Hierarchie gelegt. Im Dojo sollte eine Rangordnung anhand des Könnens des einzelnen Schülers erstellt werden, nicht nach Vorliebe des Lehrers oder nach der Höhe des gestifteten Beitrages.  

Im Dojo herrscht somit die echte Hierarchie des Könnens. Die Schüler, die schon grössere Fortschritte gemacht haben, sollen sich Bemühen, mit Bescheidenheit und Freundlichkeit denen zu helfen, die noch nicht so weit sind. Die Empfänger solcher Hilfe sollten sich dankbar zeigen und nicht immer mit einer Ausrede antworten, oder andere schwachen Versuche unternehmen, um sich gleichwertig zu zeigen. In der Tat sollte ein Ratschlag im Dojo mit einen "Danke Dir" beantwortet werden. Grund zur Diskussion während des Trainings gibt es nicht. Systematischer Aufbau der Ausdauer wird durch Antwort eher gestört. Die Arbeit im Dojo sollte den Puls nach oben treiben, mit so wenig Pausen wie irgend möglich. Eine Frage kann bis zum Ende des Trainings warten. Dann kann sie in aller Ausführlichkeit beantwortet werden. Der Schüler, der sich durch hilfreichen Rat bedroht fühlt, sollte seinem Problem ins Gesicht sehen und sich ernsthaft fragen, ob er hier ist, um etwas zu lernen oder nicht. 

Jeder Lehrer formuliert seine Ratschläge anders, da auch jeder Mensch anders ist. Oft erscheinen Ratschläge ziemlich widersprüchlich. Der Schüler sollte ernsthaft versuchen, einen Rat zu befolgen bevor er ihn ablehnt, ansonsten könnte er eine gute Gelegenheit versäumen, sich weiterzuentwickeln. Nie sollte er sagen "aber Lehrer XY hat gesagt...". Er sollte die Anweisung des Lehrers befolgen, mit dem er gerade übt. 

Auf diese Weise wird er Gelegenheit haben, die für ihn besten Techniken herauszufinden. Wenn ein Lehrer aber sieht, dass seine Ratschläge nicht befolgt werden, so wird er logischerweise auch keine weiteren Ratschläge mehr erteilen, und der Schüler muss die Konsequenzen tragen. 

Der Schüler muss verstehen dass jede Änderung alter Gewohnheiten zunächst zu einer gewissen Verschlechterung führt, bis sie sich endlich ihrerseits zu einer alten Gewohnheit entwickelt hat. Erwartet nicht eine sofortige Verbesserung, wenn eine Technik etwas anders ausgeführt wird. Erwartet eher, öfter einmal zu verlieren, bis die neue Anweisung wirklich beherrscht wird. Schüler die auf ihre Gangart eingeschworen sind, die jede Änderung wegen ihrer Unbequemlichkeit zurückweisen, die können jeglichen weiteren Fortschritt vergessen.  

Schüler, die das Siegen höher schätzen als tatsächliche Verbesserung, werden in den ersten Jahren öfter siegen. Sie machen jedoch weniger Fortschritte als die, die zu einer echten Verbesserung entschlossen sind, und entwickeln schlechte Gewohnheiten, die wiederum nur schwer zu korrigieren sind. So sehen sie sich unüberwindbaren Schwierigkeiten gegenüber, wenn die "Verbesserten" den gerechten Lohn für ihre Mühe ernten. Der Schüler sollte versuchen, nicht nur zu siegen sondern gut zu siegen. Ein Sieg, erreicht mit schlechter Balance, Haltung und Technik, ist reiner Zufall oder Resultat einer mutig durchgeführten Aktion. Gibt sich der Schüler mit solch einem Sieg zufrieden, so kann er sicher sein, dass schlechte Balance, Haltung und Technik zur Gewohnheit werden, die nur sehr schwer wieder abgewöhnt werden kann. Will jemand wirklich vorankommen, so muss er bereit sein, eher mit guter Technik zu verlieren als mit schlechter Technik zu gewinnen. Dies verlangt viel Willenskraft, denn es ist nie erfreulich zu verlieren. Auf lange Sicht jedoch, wird diese Einstellung zu einem sehr viel grösseren Fortschritt führen. 

Nach einigen Jahren der Übung ist der junge Student in der Lage, die Alten oft zu besiegen aufgrund seiner jugendlichen Ausdauer und Reflexe. Wenn er dann glaubt, er könne von ihnen nichts mehr lernen, hat er sich den Weg zur Weiterentwicklung selbst versperrt. Er möge sich die alten Männer auf dem Höhepunkt ihrer Kampfkarriere vorstellen, und nicht, wie sie jetzt sind. Dann wird er einsehen, dass er sie eben gerade wegen ihrem körperlichen Zustand besiegen kann. Er selbst wäre für sie aber keine grosse Sache gewesen, damals zu dem jetzt weit zurückliegenden Zeitpunkt, als ihre Körper ihnen noch erlaubten, wirklich all das anzuwenden, was sie gelernt hatten. 

Er soll sich vorstellen, wie er selbst einmal in 30 Jahren aussehen wird. Dann kann er sich fragen, ob er immer noch so gut kämpfen kann, oder ob er auch so kämpfen wird wie diese alten Herren. Zu dieser Einsicht gelangt, wird er verstehen, dass er noch sehr viel von den Älteren lernen kann. Die momentane Überlegenheit sagt überhaupt nichts aus. 

Aber auch ein erprobter Karateka muss von jüngeren Schüler lernen. Er soll nicht zufrieden sein, wenn er sie neun Mal von zehn bezwingt. Sondern er sollte sich mit der einen Niederlage beschäftigen, die er erlebt hat. In einem echten Kampf könnte diese Niederlage die erste sein, und er wäre tot, besiegt von einem Anfänger. So gesehen wäre es für ihn ein schwacher Trost, dass er die neun ersten Kämpfe gewonnen hat. 

Sie sollten bereit sein, im Kampf mit wenig Geübten, sich selber Schwierigkeiten in den Weg zu legen. Auf die besten Techniken verzichten, und nur die benutzen, die sie nicht so gut beherrschen. So ist es für beide Parteien interessanter. Der Ungeübte ist nicht enttäuscht und der Geschicktere nicht gelangweilt. Auf diese Art kann er auch vom Schwächeren viel lernen.  

Seine eigenen schwachen Punkte muss er sehr kritisch beurteilen, und die des Gegners höchst grosszügig, will er Fortschritte machen. Er kann nur mit sich zufrieden sein, wenn er klar und entschieden gewonnen hat. Es genügt nicht, besser zu gewinnen als der Gegner.

   




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